Nach mehrmaligem Durchspielen des angeblichen "Nachfolgers" des Allzeit-Klassikers Baldur's Gate denke ich - als seit 1993 aktiver Spieler
wirklicher Klassiker der RPG-Serien Might & Magic, Ultima und Wizardry (meines Erachtens bis heute das ausgereifteste aller
Rollenspiel-Systeme) - dass sich Pillars of Eternity den Titel "CRPG", ausgeschrieben "Catastrophical Role Playing Game", wirklich
verdient hat. Das mit unnötigen "Features" und einem Wertesystem mit einer Fülle von ebenso undurch- wie unüberschaubaren Attributen völlig
überladene Spiel ist eine Katastrophe. Dabei hätte man - anstatt in endloser "Featuritis" zu schwelgen - doch durchaus die Unzulänglichkeiten
des Vorbilds Baldur's Gate (die Ähnlichkeit ist schwer zu übersehen) beseitigen können, um ein Spiel zu kreieren, das nicht nur für
hartgesottene Strategiespieler, die fest daran glauben, jede Bewegung jedes ihrer sechs Gruppenmitglieder für jedes
tausendstel Grad jeder auch noch so kleinen Bewegung mittels direkter Einflussnahme "feintunen" zu müssen das
"Unbedingt-Haben-will-Spiel" des Jahrzehnts ist, sondern - durch entsprechenden Inhalt - auch etwas für Abenteurer wie mich zu bieten hat,
die eher an der Lösung von Rätseln und nachvollziehbaren Aufgaben interessiert sind. Stundenlanges Einschlagen auf unkaputtbare Gegner mag
vielleicht hirnlose Haudraufs befriedigen, die gerne Ego-Shooter bis zum Exzess auskostet, mit einem Rollenspiel hat das aber herzlich wenig
zu tun. Auch die von Aufbau-Simulationen halbherzig übernommenen "Features", zum Beispiel der Festungsbau und das Ressourcen-Management zur
Verbesserung der Ausrüstung, haben mit einem wirklichen Rollenspiel nur bedingt zu tun, da von den wirklich relevanten Ressourcen nur extrem
rare Mengen verfügbar sind (je zwei Drachenteile, zwei Krakenaugen und viel zu wenige Durgan-Barren, obwohl ein ganzes Bergwerk zur Verfügung
steht).
Alles in Allem also kein Spiel, das es mit meinem seit 20 Jahren installierten Baldur's Gate (inzwischen als "Baldur's Gate Trilogie" mit sehr
vielen Modifikationen seit Windows XP fester Bestandteil jeder Windows-Installation auf meinem Rechner) auch nur annähernd aufnehmen könnte.
Selbst die Questen und Unterquesten können sich nicht mit Baldur's Gate messen, da sie die Qualität reiner Botengänge nie überschreiten, und
die Skript-Kiddies dieses Manko mit überbordender Quantität zu retuschieren versucht. Apropos Skript-Kiddies: Das ganze Spiel verwendet
keine eigenständig entwickelte Grafikoberfläche wie zum Beispiel die "Infinity Engine" in Baldur's Gate, sondern setzt auf die Basis der
"Unity Engine" auf, die sich ihrerseits des von microsoft favorisierten .NET-Frameworks bedient. Das sinnfreie "Verbraten" der
vorhandenen Rechnerleistung ist damit garantiert - so schnell kann kein Prozessor sein, um diese Entschleunigung kompensieren zu können...
Was in Pillars of Eternity (ebenso wie bei der heftig modifizierten Baldur's Gate Trilogie...) vorrangig zählt, ist das (moralisch mal etwas
mehr, mal etwas weniger "gerechtfertigte") muntere Abschlachten mehr oder weniger "schuldiger" Lebewesen, die dem Erreichen eines von einem
Skript gesetzten Ziels im Wege stehen. Sobald man also einen Hauptcharakter erschafft, erkennt man damit formlos an, dass man ab sofort im
Sinne eines Skript-Schreiberlings alles aus dem Weg räumen wird, was dem Erreichen des vom Skript vorgegebenen Ziels im Wege steht. Als
moralisches Deckmäntelchen halten manche Skripte ein Hintertürchen zur Vermeidung größerer Pogrome offen, was meist allerdings Augenwischerei
bleibt, da man es niemals schaffen wird, nur den oder die Übeltäter zu schnappen - ein bisschen Schwund gibt es immer, und hehre Ziele
rechtfertigen auch (zum Teil exorbitante!) "Kollateralschäden". Zumindest sieht die Spiellogik das auf diese Weise, sonst würde sie den Spielern
ja andere Optionen der Konfliktlösung anbieten.
Wie in der heftig gemoddeten "Baldur's Gate Trilogie" sind Charakterklassen wie Zauberer und Priester im nicht gemoddeten Pillars of Eternity
Kanonenfutter, das extrem schnell handlungsunfähig am Boden liegt. Es ist sinnlos, NPCs wie Aloth, Durance und wie sie alle heißen mit sich
herumzuschleifen, da sie insgesamt mehr Zeit mit "am Boden liegen" als mit Zaubern (oder gar Kämpfen...) verbringen. Es ist daher klug, sich
frühestmöglich zwei Kämpfer zusammenzuwürfeln, die einem während des ganzen Kampfes zur Seite stehen, statt nach zwei Sekunden bewusstlos am
Boden zu liegen. Für den Rest der Truppe empfehle ich Edér, Kana und Trauernde Mutter - Edér ist ein guter Kämpfer, wenn man ihn mit den
entsprechenden Gegenständen aufpeppt, Kana und Trauernde Mutter können (mit Fernkampfwaffen ausgerüstet!) die Frontkämpfer mit Gesängen und
Psi-Kräften effizient unterstützen, ohne laufend nutzlos herumzuliegen. Alle anderen NPCs sollte man immer nur dann mitnehmen, wenn man gerade
eines ihrer persönlichen Problemchen für sie löst. Dazu kommt, dass man selbst erstellte NPCs (ebenso wie den Hauptcharakter) mittels eines
ZIP-Programms und eines Hex-Editors modifizieren kann, was bei den vorgegebenen NPCs leider (noch...) nicht funktioniert.
Fazit: Wer auf einen würdigen Nachfolger für Baldur's Gate gewartet hat, muss wohl weiter warten. Wer hingegen "Extrem-Mikromanagement" und
Simulationen liebt, wird von Pillars of Eternity begeistert sein. Nichtsdestotrotz kömmt nun eine Anleitung, wie man als Rollenspieler mit
dem Schwerpunkt "Abenteurer" relativ ungeschoren über die Runden kommt.
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